Der Orient-Teppich und seine Herkunft
Der Orient-Teppich - früher und heute
Bei der Bezeichnung Orient-Teppich denken wir doch alle wahrscheinlich direkt an wertvolle handgearbeitete Teppiche in leuchtenden Farben wie rubinrot oder smaragdblau, allesamt aus dem Morgenland, dem Land der aufgehenden Sonne.
Manch Einer wird sich ganz romantisch eine alte Frau mit zerfurchtem Gesicht und Kopftuch vorstellen, wie sie vor einem pullernden Ofen hockt und den riesigen Orientteppich die kalten Winterabende über herstellt.
Wieder andere, mit vielleicht noch romantischeren Vorstellungen, mögen mit dem Begriff und Webstück Orient-Teppich wiederum die sagenumwobene Gestalt des Aladin assoziieren und wie er mit seiner Wunderlampe in der Hand auf seinem fliegenden Teppich mit prächtigen Ornamenten und kostbarer goldener Bordüre durch die Lüfte reist.
Doch nun einmal weg von solch phantastischen Vorstellungen und nicht mehr ganz richtigen und zeitgemäßen Ansichten hinsichtlich der Orient-Teppiche.
Wo kommt der Orient-Teppich eigentlich her und wie alt ist er?
Die Bezeichnung Orient ist alt und hat im Laufe der Zeit immer wieder einen Bedeutungswandel insofern erfahren, als dass sich geografische Zuordnungen verändert haben. Früher war mit Orient die gesamte asiatische Welt angesprochen, wohingegen heutzutage Länder des Nahen Ostens und arabrisch-islamische Länder gemeint sind.
Der so genannte Orient-Teppich wird auch heute noch in vielen Gegenden gefertigt, so etwa im gesamten Nahen Osten, im Mittleren- wie im Fernen Osten. Demnach kommt der Orient-Teppich aus Ländern, die sich über das gesamte riesige Gebiet zwischen Albanien und China erstrecken.
In der heutigen geografischen Vorstellung vom Orient ordnen wir beispielsweise China jedoch gar nicht mehr dem Orient zu.
Vielleicht sollte man also nicht sonderlich wortklauberisch sein, wenn es um den Orient-Teppich und eine klare geographische Zuordnung hinsichtlich der Herkunft geht.
Etwas klarer definieren kann man hingen die Ursprünge und Anfänge der Teppiche aus dem Morgenland.
In heutiger Zeit wird davon ausgegangen, dass die Geburt der Teppichherstellung bei Nomadenvölkern zu suchen und zu finden ist. Für den Alltag der herumschweifenden Sammler und Jäger sowie der Hirtenvölker war es ungemein wichtig, warme Decken, Zelte zur Behausung, Behälter und Materialien für den Transport zu haben und auch selber herstellen zu können.
So fertigten sich die damaligen Nomaden selber ihre Zelte, Taschen, Säcke, Decken und auch Teppiche als Sitzgelegenheiten und Wandbehänge ihrer textilen Unterkünfte zu dem so genannten Kelim, der als Vorläufer unserer heutigen Flachgewebe gilt. Die Ursprünge der geflochtenen Kelim-Gewebe werden im zentralen- und mittelasiatischen Raum vermutet und als eine Art Vorstufe der Weberei betrachtet. Interessant zu wissen ist auch noch, dass die Kelims der Nomaden auf beiden Seiten ein Muster hatten. Verwendet haben sie für diese Textilien Ziegen- und Kamelhaar. Für die damaligen ganz simpel gefertigten Teppiche wurde noch Schafswolle verwendet. Demnach sollten wir uns die so genannten ersten Teppiche wie einen Filz vorstellen. Es ist davon auszugehen, dass für die Teppich-Herstellung damals oftmals und im Gegensatz zur Kelim-Herstellung von den Nomaden geschorene Schafswolle befeuchtet und stetig zusammengedrückt wurde, bis die Form des Filzteppichs zutage trat.
Die damaligen flachgewebten Kelims hingegen sind schon von etwas höherer Qualität als die Filzteppiche. Bei den Kelims wurde die Wolle nicht bloß gerieben, sondern Fäden wurden miteinander verflochten. Deshalb spricht man beim Kelim auch nicht von geknüpften Teppichen, sondern von gewebten. Da der Kelim keinen Flor hat wird er als das erwähnte Flachgewebe bezeichnet.
Seit den fünfziger Jahren des letzten Jahrhunderts gewinnt der Kelim in Europa vermehrt an Bedeutung.
Der Kelim als Wohninterieur steht für Ursprünglichkeit und Unverfälschtheit, gespiegelt oftmals mittels der abstrakten Ornamente, die dem Kelim eigen sind.
Ein ganzes Stück jünger ist wahrscheinlich der älteste beziehungsweise der älteste heute noch existierende Teppich. Er soll aus der nördlichen Mongolei stammen, zumindest wurde er im Altaigebirge in einem ca. 2000 Jahre alten Grab eines einstigen Fürsten entdeckt. Dieser Teppich wird auch Pasyryk genannt. Seinen Namen hat der heute in einem Museum in Sankt Petersburg ausgestellte Teppich nach seinem Fundplatz im Pasyryk-Hochtrockental erhalten.
Der Pasyryk ist ein Wollknüpfteppich mit sehr hoher Knüpfdichte, was für einen Teppich seines Alters als ungewöhnlich gilt. Es wird davon ausgegangen, dass dieser seltene Fund im 5. Jahrhundert vor Christus entstanden ist.
Es gibt Hinweise dafür, dass bereits vor Erstellung des besagten Pasyryk Teppiche hergestellt wurden. So geht die heutige Geschichtsforschung von einem ersten Knüpfzentrum aus, in dem in der heutigen Türkei in der Stadt Erzurum sehr früh Teppiche gefertigt wurden. Aus dem 3. und dem 6. Jahrhundert existieren Teppichfunde aus Turfan in China.
Für eine ganze Weile, genauer gesagt für viele Jahrhunderte, verliert sich die Spur der Teppiche und der Orient-Teppiche. Weitere Funde alter Teppiche und gewebter Kunstwerke sind erst wieder im 13. Jahrhundert zu verzeichnen. Ab nun liegen die Fundorte auch in Europa. Wahrscheinlich weil zuerst Kreuzritter, später Reisende und Geschäftsleute aus dem Morgenland neue Waren und Luxusgüter auf den europäischen Kontinent mitbrachten und nach und nach diese auf den heimischen Märkten etablierten. Die Teppiche aus dem Orient boten leuchtende Farben und bislang unbekannte Muster, exotische Ornamente und kostbare Bordüren, die den Orient-Teppich nicht bloß zu einer interessanten Neuheit in den westlichen Gefilden machten. Der neue Teppich war erlesen, wertvoll und oftmals sehr künstlerisch.
Der heutige Orient-Teppich stammt wie der damalige aus ganz unterschiedlichen Gegenden. Heutzutage wird jedoch eine bestimmt Unterteilung nach Landesgrenzen vorgenommen. Folglich lassen sich unter der Bezeichnung Orient-Teppiche diverse Teppiche zusammenfassen, so etwa die anatolischen, kaukasischen, afghanischen, chinesischen oder turkmenischen Teppiche.
Besondere Berühmtheit genießen natürlich die so genannten Perserteppiche, die aus dem einstigen Persien und dem heutigen Iran stammen.
So verschieden die lokalen Ursprünge sind und sein konnten, so gibt es in unserer heutigen Zeit den Orient-Teppich in zahllosen Qualitäten und in allerlei Formen. Orient-Teppiche werden nach wie vor aus Wolle oder Ziegenhaar gefertigt, ebenso können sie aus Baumwolle oder Baumwollanteilen und hochwertiger Seide hergestellt sein. Demnach ist die Anmutung eines Orient-Teppichs nicht immer gleich und es gibt ganze Bandbreiten von Florhöhen.
Das Besondere des Orient-Teppichs
So wie bereits die Nomaden, etwa in Zentralasien, vor 10.000 Jahren Teppiche ganz einfach und schlicht aus Schafswolle hergestellt haben und sie diese Textilien in kalten Nächten zum Beispiel vor gefrorenen Böden schützten, so ist auch heute der geknüpfte Wollteppich mit der Wärme eines Schaffells sehr vergleichbar. Was der Teppich dem bloß wärmenden Garn und Textil aber voraushat und mithin der Entstehung der Orient-Teppiche möglich wurde, ist die Gestaltung der Oberfläche der Wand-und Bodenbehänge. Eben diese Gestaltung lebt von den Farben und Motiven der Teppiche, für den der Orient-Teppich bekannt ist.
Eines der wesentlichen Momente der Orient-Teppiche ist das so genannte Unendlichkeitsprinzip. Die Wiederholung bestimmter Grundmotive, in harmonischem Arrangement untereinander und mit den verwendeten Farben, oftmals in Rot, Blau oder Gelb, bewirken beim Betrachter des Orient-Teppichs neben einer ausgewogenen Gestaltung den Eindruck von Unendlichkeit. Die Anordnung der Grundelemente und die Farbkompositionen suggerieren ganz bewusst, dass der Teppich nicht an der edlen Bordüre endet, sondern sich weit und groß darüber hinaus erstreckt. Der Orient-Teppich ist oftmals nicht bloß aufgrund der Herstellung wertvoll. Vielmehr entsteht beim Anblick des Teppichs ein Gefühl von Kostbarkeit, da das Textil groß, unendlich und demnach sehr wertvoll erscheint. Es war bereits zu früheren Zeiten nicht bloß die teure Farbe, die in mühsamer Arbeit aus dem Blüten- und Blätterreichtum der Natur gewonnen wurde, die den Orient-Teppich zum wertvollen und geknüpften Kunstwerk gemacht hat. Die optische und angenehme Täuschung, die in solchen Teppichen verwoben ist, steht für eine großartige handwerkliche und künstlerische Leistung, deren Tradition inzwischen seit vielen Jahrhunderten fortgesetzt wird.
In unserem Beitrag über die verschiedenen Teppich-Ornamente, ihre Ursprünge und Formen, verraten wir noch mehr über die Geschichte der Orient-Teppiche.